May Gilon

Privat

May Gilon mit dem Berliner Buddy Bär

"Ich bin der DAAD-Stiftung sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gegeben hat, das Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen. Meine Erfahrungen und Erinnerungen werden mir viel länger als einen Monat in Erinnerung bleiben und meine Entscheidungen über meine akademische Zukunft beeinflussen."

May Gilon bekam durch ein Dr. Gustav Winkler Stipendium die einmalige Chance, einen vierwöchigen Sprachkurs in Berlin zu absolvieren und ihre Deutschkenntnisse entscheidend zu erweitern.

Im folgenden Bericht teilt sie ihre Erfahrungen, die sie während des Sprachkurses in Deutschland gesammelt hat:

Mein Name ist May Gilon. Ich stehe kurz vor dem Abschluss meines M.A. in Sprache und Kognition an der Universität Tel Aviv. Im September hatte ich das Glück, dass ich das Dr. Gustav Winkler Stipendium der DAAD-Stiftung erhielt und einen Sprachkurs in Berlin besuchen konnte.

Ich begann mich bereits in der Oberstufe mit der deutschen Sprache verbunden zu fühlen, als ich Jiddisch als eines meiner Hauptfächer wählte. Ursprünglich hatte ich vor, die Verbindung zu meinen Großeltern und der Geschichte meiner Familie zu stärken. Als ich jedoch nach und nach die Sprache und ihre Geschichte erlernte, war ich fasziniert von der Sprachkombination, aus der das Jiddische hervorgegangen war, und von seinen weitreichenden Einflüssen auf das moderne Hebräisch. Jahre später, während meines Studiums, war ich immer noch auf die Beziehung zwischen Deutsch und Hebräisch neugierig und beschloss, an meiner Universität Deutschunterricht zu nehmen. Ich lernte gerne Deutsch und übte es regelmäßig. Als sich mir die Gelegenheit bot, die Sprache im ‚echten Leben‘ anzuwenden, wusste ich, dass ich sie ergreifen musste. Ich bewarb mich um ein Stipendium der DAAD-Stiftung für einen einmonatigen Sprachkurs in Berlin.

Gilon Über den Dächern von Berlin

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Über den Dächern von Berlin

Ich war bereits mit internationalen Erfahrungen vertraut. Während meines B.A.-Studiums hatte ich ein Jahr in den Niederlanden studiert, sodass ich bereits wusste, wie es ist, Freundschaften mit internationalen Menschen zu schließen oder erklären zu müssen, wie das Leben in Israel aussieht. Ich kannte schon die schockierten Gesichter der anderen, wenn sie hörten, dass ich in der Armee gedient habe, aber wenn ich gleichzeitig auch beteuerte, dass Israel ein sicheres Land ist und ich nicht in einem Kriegsgebiet lebe. Der Sprachkurs war jedoch eine ganz neue Erfahrung. Ich musste all das Wissen anwenden, das ich zuvor erworben hatte, aber dieses Mal auf Deutsch. Zwei Jahre lang Deutsch zu lernen hat mir geholfen, die grundlegende Grammatik zu erlernen und das gesprochene Wort zu verstehen, aber das Lernen in einem hebräischsprachigen Umfeld hat mich davon abgehalten, mit meinen Klassenkameraden auf Deutsch zu sprechen. Nichts hatte mich auf den Sprachschock vorbereitet, den ich bei meiner Ankunft in Berlin erlebte.

Die ersten Gefühle bei meiner Ankunft in Berlin waren Begeisterung und Aufregung. Die Schilder um mich herum, am Flughafen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln, waren auf Deutsch - und ich konnte sie verstehen! Die Sprache, die ich in meinen Lehrbüchern gesehen hatte, erwachte zum Leben, und ich liebte das Gefühl, von ihr umgeben zu sein. Dieses Gefühl der Unbeschwertheit flaute jedoch schon bald ab, als ich in der Wohnung meines Gastgebers ankam. Mein Gastgeberin, eine junge Frau, und meine Mitbewohnerin, eine andere Studierende, die das Winkler-Stipendium der DAAD-Stiftung erhalten hatte, sprachen nur Deutsch. Nicht nur als Lernmittel, sondern als einziges Kommunikationsmittel. Meine Mitbewohnerin sprach kein gutes Englisch, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als meine Sprachkenntnisse zu praktizieren.

Anfangs war es anstrengend, rund um die Uhr Deutsch zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, nie genug Worte zu finden und mein Verstand ermüdete schnell. Der offizielle Unterricht machte mir Spaß, aber wenn ich dann nach Hause kam, hatte ich das Gefühl, dass ich meine Gedanken einfach nur mühelos vermitteln wollte. Mit der Zeit war es, als wäre etwas Magisches geschehen. Ich verstand nicht einmal den Mechanismus meines Gehirns, aber plötzlich begannen die Worte aus meinem Mund zu sprudeln. Ich hatte den ganzen Tag über diese kleinen ‚Erfolge‘. Es gab nichts Besseres als das Gefühl, gebeten zu werden, aus dem Supermarkt etwas mitzubringen und dann tatsächlich das Richtige dabei zu haben, ohne die Nachricht vorher übersetzen zu müssen. Ich war in der Lage, in einer Bar Getränke und im Restaurant Essen zu bestellen, aber vor allem konnte ich meine Erfahrungen mit meiner Gastgeberin und meiner Mitbewohnerin teilen.

Dadurch, dass ich mich besser ausdrücken konnte, konnte ich auch mit meinen Klassenkameraden sprechen und mehr über mein Leben in Israel und die Geschichte meiner Familie erzählen. Ich bin Enkelin von vier Holocaust-Überlebenden, die das Glück hatten, am Leben geblieben zu sein, während ihre Familien ausgelöscht wurden. Meine Großmutter sagte immer, dass sie nach den Geschehnissen nie wieder nach Deutschland zurückkehren wollen würde, aber ich habe das Gefühl, dass das Kennenlernen der Geschichte und der Wurzeln ihrer Heimat eine Bereicherung ist und uns in Frieden zusammenbringt. Bei einem Spaziergang durch Berlin habe ich viele Erinnerungen an historische Ereignisse gesehen. Zusammen mit meinen internationalen Klassenkameraden habe ich Museen und Denkmäler besucht und die Geschichte meiner Familie mit denjenigen geteilt, die daran interessiert waren. Dadurch fühlte ich mich noch mehr mit meiner Geschichte und meinen Wurzeln verbunden als zuvor.

Ich habe in meiner Zeit in Deutschland so viel gelernt, sowohl im offiziellen Unterricht als auch in meiner Freizeit. Im Rahmen des Programms fanden viele gesellschaftliche Veranstaltungen statt, und die anderen Studenten waren entschlossen, die Sprache zu üben, sogar auf einem Ausflug in eine andere Stadt. Es gefiel mir sehr, das Land nicht nur als Tourist zu erleben. Ich konnte in der U-Bahn Smalltalk führen oder mit meiner einheimischen Gastgeberin etwas trinken gehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich das Glück hatte, einen Einblick in ein anderes Universum zu bekommen.

Gilon Bode-Museum

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Tanzveranstaltung vor dem Bode-Museum

Jetzt, wo ich wieder in Israel bin, gehe ich zu Tandem-Veranstaltungen und versuche, die Sprache in meinem Leben „am Leben“ zu halten. Ich habe bereits meinen nächsten Urlaub in Österreich geplant und dieses Reiseziel gewählt, damit ich mein Deutsch wieder in seiner natürlichen Umgebung üben kann. Außerdem habe ich mich bereit erklärt, auf der Konferenz "Germanit in the house", die die Kulturabteilung der deutschen Botschaft am 8. Dezember 2022 in der Stadtbibliothek Beit Ariela in Tel Aviv veranstaltete, über meine Zeit in Berlin zu sprechen und mein Stipendium vor anderen israelischen Studierenden zu präsentieren.

Stand: März 2023. Die englische Version ist das Original.