Gabriel Condon

Privat

Das Django Reinhardt Festival Hildesheim, auf dem auch Gabriel Condon auftreten durfte

"Während meines Stipendiums habe ich die Musik und Kultur der Sinti und Roma noch mehr zu würdigen gelernt. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass die Musikerinnen und Musiker mich so herzlich als Gast willkommen hießen und bereit waren, mir ihre Erfahrungen zu schildern."

Gabriel Condon durfte mithilfe des Respekt & Wertschätzung Stipendiums einen einmonatigen Forschungsaufenthalt am European Roma Institute for Arts and Culture (ERIAC) in Berlin absolvieren, bei dem er vielfältige fachliche und interkulturelle Erfahrungen machte.

Diese schildert er im Folgenden:

Das Hauptziel meines Forschungsaufenthalts in Berlin war es, die Pädagogik, Philosophie und Kultur von Sinti- und Roma-Jazzmusiker:innen zu untersuchen. Während meines einmonatigen Aufenthalts führte ich Video-Interviews mit acht Jazzmusikerinnen und -musikern aus der europäischen Sinti- und Roma-Community. Zur Vorbereitung arbeitete ich Fragen aus, erstellte geeignete Einverständniserklärungen und kümmerte mich um die Logistik und, falls erforderlich, Verdolmetschung der Interviews. Im Anschluss an die Interviews bearbeitete ich die Videoaufnahmen für Produktionszwecke.

Das Führungsteam des European Roma Institute for Arts and Culture (ERIAC) half mir dabei, Kontakt zu Musiker:innen und kulturellen Größen der deutschen Sinti- und Roma-Gemeinde aufzunehmen. Außerdem besuchte ich das Django Reinhardt Festival in Hildesheim, um mehrere Sinti- und Roma-Jazzmusiker:innen aus Tschechien und Polen zu treffen. Dabei hatte ich Gelegenheit, Beziehungen zu den Musikerinnen und Musikern zu knüpfen und gemeinsam mit ihnen zu musizieren. Anschließend interviewte ich für meine Forschung drei Personen, die auf dem Festival auftraten.

Zur Unterstützung der Musikinitiative des ERIAC arbeite ich zurzeit mit dem Institut an bearbeiteten Fassungen der Interviews, die auf den Medienkanälen des ERIAC veröffentlicht werden sollen. Meine Kooperation mit dem ERIAC umfasste zudem die Veranstaltung eines gemeinsamen Konzerts mit international renommierten Sinti- und Roma-Jazzmusiker:innen bei der Stiftung Kai Dikhas in Berlin. Ich organisierte nicht nur die Musiker:innen und den Veranstaltungsort, sondern spielte auch selbst auf dem Konzert. Das ERIAC stellte dafür Gelder und administrative Unterstützung bereit. Auf dem Konzert wurde Jazzmusik sowohl im Sinti- und Roma-Stil als auch im amerikanischen Stil gespielt. Es zeigte damit die einzigartige internationale Verbindung zwischen europäischen und amerikanischen Jazzmusikerinnen und -musikern.

In meiner Zeit in Berlin assistierte ich dem ERIAC bei administrativen Büroaufgaben. Im Gegenzug stellte mir das ERIAC einen Büroraum zur Verfügung, in dem ich Interviews führen konnte. Besonders genossen habe ich die informellen Bekanntschaften mit den Mitgliedern des Teams. Im Berliner Büro arbeitete ich mit fünf ERIAC-Kolleginnen und -Kollegen zusammen, außerdem stand ich mit Teammitgliedern in Kontakt, die in Serbien oder remote tätig waren. Neben beruflichen Diskussionen konnte ich in Gesprächen in der Mittags- oder Kaffeepause auch persönliche Kontakte knüpfen. Aus diesen Gesprächen habe ich viel über die Kultur der Sinti und Roma und die deutsche Kultur gelernt. Ich bekam viele Tipps zu Restaurants, Geschäften und historischen Sehenswürdigkeiten, wodurch ich als jemand, der zum ersten Mal in Berlin war, die Stadt besser kennenlernen konnte.

Wie die Einheimischen war ich oft mit dem Rad in der Stadt unterwegs und besichtigte viele faszinierende historische Bauten und Denkmäler, darunter das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Checkpoint Charlie und andere historische Wegmarken entlang der früheren Mauer. Außerdem stattete ich Touristenattraktionen wie dem Brandenburger Tor, dem Berliner Fernsehturm, dem Berliner Dom, dem Flughafen Tempelhof und verschiedenen Open-Air-Kunstmärkten Besuche ab. An einem Wochenende stieß ich bei einem Besuch im Tiergarten auf ein LGBTQ-Pride-Festival. Da der Juli Pride-Monat war, sah ich auch eine Pride-Parade und andere LGBTQ-Kunstwerke in der ganzen Stadt. Viel Spaß gemacht hat es mir auch, traditionelle deutsche Speisen und Getränke in Restaurants und Biergärten auszuprobieren. In Hildesheim fuhr ich mit einem Scooter durch die Innenstadt, um mir den historischen Marktplatz anzusehen.

Condon Collage

Privat

Gabriel Condon auf dem Django Reinhardt Festival mit Musikerkollegen

Am meisten bewegt hat mich das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Ich war die einzige Person vor Ort im Tiergarten und konnte es daher in seiner ganzen Schönheit erleben. In diesen Momenten feierlicher Stille hatte ich Gelegenheit, über die Leidensgeschichte der Sinti und Roma, ihre Unterdrückung und den an ihnen verübten Völkermord nachzudenken. Darum weiß ich die einzigartige Perspektive der Sinti und Roma und warum es so wichtig ist, ihre Geschichten weiterzugeben, nun noch besser zu schätzen.

Da dies meine erste Reise nach Deutschland war, war es auch meine erste umfassende Erfahrung mit der deutschen Gesellschaft und Kultur. Erstaunt hat mich, wie viele Investitionen in hochwertige öffentliche Verkehrsmittel und Bildung fließen. Dank eines neuen Regierungsprogramms konnte ich im Juli zu ermäßigten Preisen den örtlichen Nahverkehr nutzen. Sehr gefallen hat mir auch die Fahrt nach Hildesheim im Schnellzug. Die Philosophie ist hier eine ganz andere als in den USA, wo Auto und Flugzeug die bevorzugten Transportmittel sind. Darüber hinaus habe ich viel über das deutsche Bildungssystem gelernt, einschließlich der kostenlosen Kindertagesstätten, die Familien hier offenstehen. Auch das ist ein großer Unterschied zu den USA, wo die meisten Kindergärten in privater Hand und daher mitunter recht teuer sind.

Insgesamt habe ich die Menschen in Deutschland als sehr freundlich, offen und – angesichts meiner geringen Deutschkenntnisse – geduldig erlebt. In Berlin beherrschen viele Menschen mehrere Sprachen, einschließlich Englisch und Deutsch. Anscheinend reisen Deutsche auch gerne ins Ausland, um dort zu arbeiten oder ihren Urlaub zu verbringen. Mitglieder des ERIAC-Teams reisen oft zu Ausstellungen und Veranstaltungen, und sie arbeiten täglich virtuell mit internationalen Partnerinnen und Partnern zusammen.

Während meines Stipendiums habe ich die Musik und Kultur der Sinti und Roma noch mehr zu würdigen gelernt. Ich fühlte mich sehr geehrt, dass die Musikerinnen und Musiker mich so herzlich als Gast willkommen hießen und bereit waren, mir ihre Erfahrungen zu schildern. Als wichtiges Ergebnis meiner Forschung konnte ich zeigen, dass Jazz ein integraler Bestandteil der kulturellen Identität der Sinti und Roma ist und dass ihre Jazztradition tief in auditivem Lernen, ihrer Gemeinschaft und der sozialen Interaktion wurzelt.

Aktuell arbeite ich an einem Analyserahmen für die Interviews, damit ich weitere Schlussfolgerungen aus meinen Feststellungen ziehen kann. Ich habe bereits eine Einladung erhalten, meine Forschung auf der Jazz Education Network Conference 2023 in den USA zu präsentieren. Ich hoffe auf weitere Konferenzvorträge und eine Gelegenheit, einen Artikel in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift im Bereich der Jazzpädagogik veröffentlichen zu können.

Ich plane derzeit, meine Forschung auf diesem Gebiet weiter voranzutreiben und informelle und formelle Lernansätze im Jazz zu vergleichen. Meine Untersuchung der Praxis der Sinti- und Roma-Musiker:innen in Europa wird in diese Forschung zur informellen Jazzpädagogik und -philosophie einfließen. Außerdem möchte ich die Perspektiven afroamerikanischer Jazzpädagoginnen und -pädagogen in den USA kennenlernen, um geeignete Ansätze hinsichtlich der kulturellen und historischen Aspekte des Jazz im Kontext der Hochschulbildung zu finden. Inspiriert durch Gholdy Muhammads Forschung zur Alphabetisierung hoffe ich, einen historisch und kulturell aussagekräftigen Rahmen für die Jazzpädagogik zu finden.

Ich gehe davon aus, dass viele der persönlichen und akademischen Kontakte, die ich in Deutschland geknüpft habe, über den Stipendienzeitraum hinaus weiterbestehen und hoffentlich zu weiteren Kooperationen führen werden. Zurzeit erwäge ich, einige der Musikerinnen und Musiker in die USA einzuladen, damit sie Meisterkurse und ein Konzert an meiner Alma Mater, der University of Michigan, abhalten können. Diese potenzielle Zusammenarbeit wäre ohne meinen vorherigen Forschungsaufenthalt in Berlin nicht möglich. Ich bedanke mich bei Dr. Michael Aven und der DAAD-Stiftung, dass sie dieses Projekt durch die Vergabe des Respekt & Wertschätzung Stipendiums ermöglicht haben.

Stand: Januar 2023. Die englische Version ist das Original.