Deshalb unterstütze ich die DAAD-Stiftung

Ulla Johansen Stipendium
DAAD/Michael Jordan

Frau Prof. Johansen mit einer ihrer Stipendiatinnen.

Professorin Dr. Ulla C. Johansen hat 2012 das Ulla Johansen-Stipendium ins Leben gerufen. Im Rahmen eines sechs-monatigen Forschungsstipendiums, möchte sie jungen Wissenschaftler/innen die Möglichkeit geben, ihre Arbeiten voranzutreiben und interkulturelle Erfahrungen im Deutschland zu sammeln. Das Ulla-Johansen-Stipendium richtet sich bewusst an Doktoranden, die sich mit Themen der Musik-, Sozial-, Sprach- oder Geschichtswissenschaft sowie Ethnologie beschäftigen.

Sie erklärt:

"Die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und dort verbreiteten Gewohnheiten ist auch über meine berufliche Vergangenheit als Ethnologin hinaus ein besonderes Anliegen für mich. Daher freue ich mich, gemeinsam mit der DAAD-Stiftung Forschern aus Jakutien in Deutschland die Erfahrungen zu ermöglichen, die ich im Rahmen eines DAAD Stipendiums machen durfte. Es verhalf mir zu tiefgreifenden Erkenntnissen über Denken und Fühlen in einer anderen Kultur und lebenslangen Freundschaften."

Wie ich zur Stipendien-Patin bei der DAAD-Stiftung wurde

Mein Geburtsjahr ist 1927. Als ich in die Schule ging, galt als die einzige wahre Lebenserfüllung der Frau zu heiraten und möglichst mehrere Kinder zu haben. Diejenigen, denen dies nicht gelang, wurden mit herablassendem Mitleid als "alte Jungfer" bezeichnet auch, wenn sie beruflich erfolgreich waren. Der zweite Weltkrieg warf die Grundlagen dieser Gesellschaftsauffassung  um: Die demographische Pyramide für Deutschland  vom Anfang der  50er Jahre zeigt, dass von den Jahrgängen 1927 zurück bis 1922 fast ein Viertel der jungen Männer- oft noch in einem fast kindlichen Stadium ihrer Entwicklung - ihr Leben hergeben mussten. Übrig blieben die jungen  Frauen, deren Lebensentwurf  im Sinne des noch gültigen Gesellschaftsbildes sich nach verschiedenerlei Erlebnissen nicht verwirklichen ließ. Ich rechnete mich dazu, aber die Begeisterung für meine Wissenschaft, die Ethnologie, ließ langfristige Trauer um das Nichterreichen des mir anerzogenen gesellschaftlichen Zieles nicht überhand nehmen. Sie  wurde nicht nur durch die Spannung, welche die Gewinnung neuer wissenschaftlicher  Ergebnisse mit sich brachte, sondern nicht zuletzt durch ein DAAD-Stipendium  für 15 Monate Studium und Forschung in der Türkei noch stärker angefacht. Es verhalf mir zu tiefgreifenden Erkenntnissen über Denken und Fühlen in einer anderen Kultur und lebenslangen Freundschaften.

So war ich denn Mitte 40 geworden und ohne einen Mann recht gut ausgekommen. Aber Kinder? Sollte ich nie die Freuden eines Familienlebens mit Kindern selbst erleben, das ja meine frühen Eindrücke geprägt hatte? Alleinstehend ein Kind in die Welt zu setzen, dem ja dann die Familie fehlen würde - das wollte ich nicht verantworten. Das Gleiche galt für die Adoption eines Babys. Um  jedes zur Adoption freigegebene Baby bewarben sich damals schon mehrere Dutzend Paare, die ihm ein richtiges Elternpaar, eine vollständige Familie, schenken konnten. Es gab freilich auch einige Kinder, die schon älter waren und Unglück mit ihren Herkunftsfamilien hatten. Sie waren schwer vermittelbar, denn sie hatten in ihren ersten Lebensjahr en zumeist schon so nachhaltige Schäden erlitten, dass mit lange währenden psychischen Problemen zu rechnen war. Einem solchen Kind ein Zuhause und eine liebevolle Mutter zu geben, wäre kein nur an meinen Bedürfnissen ausgerichteter Egoismus gewesen, denn eine bessere Möglichkeit bot sich ihm ja nicht.

So lernte ich Ralf kennen: 6 Jahre alt, übergewichtig, weil viel essen sich ihm als Trost · angeboten hatte, mit einer dicken Brille versehen sowie mit einigen Narben, die auf Misshandlungen in seinen ersten Lebensjahren hindeuteten. Es umgab ihn anfangs ein leichter Geruch nach Exkrementen, weil er müdem Reinlichkeitstraining  noch nicht richtig zurechtkam. Er sprach nicht, obwohl er offensichtlich Gesprochenes zumeist verstand, und er mied Erwachsene. Bei mir aber machte er eine Ausnahme: er ging an meiner Hand und hörte gerne zu, wenn ich ein Gespräch mit ihm versuchte. Die Betreuer und  die leitende Psychologin des Heimes, in das er eingewiesen worden war, nachdem ihn sein türkischer Vater und  dann auch seine deutsche Mutter verlassen  hatten, erlaubte mir, ihn für Wochenenden und schließlich für einen großen Teil der Sommerferien zu mir zu nehmen. Nach einem Dreivierteljahr kam es zur Adoption, und nur zwei Jahre später hatte Ralf viele seiner Defizite ausgeglichen. Wie ein halb vertrocknetes Pflänzchen, das man regelmäßig gießen und düngen muss, damit es wieder blüht, brauchte Ralf nur die häufige Bestätigung dass wir nun wirklich für immer zusammen bleiben wollten, dass ich kein anderes Kind so sehr liebte wie ihn, den Gute Nacht-Kuss und immer wieder ein Umarmen und Knuddeln. Zuerst sprach er nur nach, was ich sagte, danach entwickelte er allmählich einen reichen Wortschatz; Fahrrad-Fahren, Schwimmen und Wandern reduzierten sein Übergewicht und die Probleme mit der Reinlichkeit, die sein Selbstbewusstsein besonders vermindert hatten, waren nach 2 Jahren Training gelöst. Es erwies sich nun, dass er sehr warmherzig und zudem künstlerisch begabt war. Ralf hat danach 10Jahre Schule mit Erfolg abgeschlossen, obwohl er aufgrund der Entwicklungshemmungen in seiner frühen Kindheit an Dyskalkulie litt, die man damals freilich noch nicht so nannte, sondern einfach für Dummheit hielt. Sie verhinderte, daß er eine höher qualifizierte Berufsausbildung abschloss.

Ich musste mich in der Zeit um eine passende Wohnung für uns beide und, als er erwachsen war, auch ein Appartement für ihn kümmern, die ich kaufte, damit Ralf auch nach meinem Tod neben dem Lohn aus seiner Arbeit regelmäßig kleine Einnahmen hätte, bzw. für sich und vielleicht auch eine Familie keine Miete bezahlen müsste. Es kam anders: Ralf starb, noch nicht ganz 31Jahre alt. Für wen hatte ich nun all meine Vorsorge betrieben, was sollte ich jetzt mit den Mieteinnahmen? Für mich allein reichte die Pension; weitere Forschungs- und Kongressreisen werden in der Regel aus öffentlichen Mitteln bezahlt; kostspielige Pelzmäntel trage ich aus Tierschutz-Gründen nicht; teure Schönheitsfarm-Besuche sind längst zwecklos. Eine besondere Freude ist es aber für mich, wenn ich - auch nur von ferne - daran Anteil nehmen darf, wenn Kollegen in einem jugendlichen, besonders empfänglichen Alter wie meines damals 1956/57 die Möglichkeit erhalten, das Leben, vor allem Denken und  Fühlen, von Menschen einer anderen Kultur auch im Alltag kennen zu lernen und dabei ihre berufliche Weiterqualifikation erfahren. Dazu verhilft mir nun die Stiftung von Stipendien aus den Mieteinnahmen der Wohnung, die für meinen verstorbenen Sohn bestimmt waren.

Anmerkung der Geschäftsstelle: Wir danken Frau Johansen von Herzen für das entgegengebrachte Vertrauen und wissen es sehr zu schätzen, dass sie in dieser Offenheit ihre beeindruckenden wie bewegenden persönlichen Erlebnisse und Empfindungen teilt.