Alessio Thomasberger

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Der Rio Madre de Dios

„Es war eine unglaubliche Erfahrung, mit sehr reflektierten Menschen in den indigenen Gemeinden und Organisationen Erfahrungen und Perspektiven auszutauschen. Ich bin mir sicher, dass einige Beziehungen auch über das Forschungsprojekt hinaus bestehen bleiben und ich mein Leben lang von dieser Erfahrung zehren werden kann. Ich bin der DAAD-Stiftung unglaublich dankbar, nicht nur, dass sie mir mit dem Gustav-Schübeck-Stipendium die Möglichkeit gegeben haben, meine seit dem Studium ersehnte Feldforschung zur Promotion zu realisieren, sondern auch über den Umgang Frau Lohmann bei der DAAD-Stiftung (sowie Frau Roth und Frau Lohrer beim DAAD e.V.) an den Tag gelegt haben, um auf meine Bedürfnisse zur bestmöglichen Realisierung des Projekts einzugehen. - Vielen Dank!“

Der in Marburg studierte Sozialanthropologe Alessio Thomasberger konnte dank des Gustav Schübeck Stipendium der DAAD-Stiftung seinen langen Traum einer Feldstudie in Lateinamerika leben. Bei der Studie begleitete er das indigene Volk der Harakbut bei ihrem Kampf gegen Illegale Holzfäller.

Von der Zeit in Peru sehr beeindruckt verfasste er folgenden Bericht:

Mit dem Gustav-Schübeck-Stipendium der DAAD-Stiftung konnte ich meinen langjährigen Wunsch einer anthropologischen Forschung in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung aus der Amazonasregion in Erfüllung gehen lassen. Das Promotionsprojekt untersucht die Umsetzung eines internationalen Naturschutzprogramms, das von indigenen Organisationen aus dem Amazonasgebiet weiterentwickelt wurde und nun als Pilotprojekt umgesetzt wird.

Thomasberger Bananen

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Der Tropische Regenwald und Alessio Thomasberger bei der Bananenernte

In der Umsetzung setzen die indigenen Harakbut Parkwächter*innen dabei unter anderem Drohnen ein, um ihr teilanerkanntes Territorium der Reserva Comunal Amarakaeri zu schützen und erarbeiten in den Gemeinden Lebenspläne, die ihnen eine gesunde Zukunft sichern sollen. Das Reservat liegt im peruanischen Amazonasgebiet, Madre de Dios - der Mutter Gottes - im südöstlichsten Teil Perus, das etwa die Größe Österreichs hat.

Der Peru-Aufenthalt, finanziert durch das Gustav-Schübeck-Stipendium, begann dennoch in der Andenstadt Cusco. Das Stipendium der DAAD-Stiftung ermöglichte mir einen vorgezogenen Sprachkurs, der sich als Volltreffer erwies. Die Sprachschule “Acupari” war ein tolles Sprungbrett, um in das kulturelle Leben des Landes einzutauchen und um ein Gefühl für das ökonomische Zusammenleben zu gewinnen.

Eine kurze, aufmerksamer Beobachtung auf den zentral gelegenden Plaza de Armas genügt, um die Bedeutung des informellen Sektors für den Lebensunterhalt vieler Peruaner*Innen zu erfassen.

Thomasberger Pumpe Die Sand Mit Gold Aus Der Erde Pumpt

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Eine Wasserrinne zum Goldwaschen

Die Kreativität der Händler*innen ist dabei erstaunlich: Mit schnellen Handgriffen und einem Tacker entsteht in kürzester Zeit aus einem einfachen DIN-A4-Papier eine Sonnenmütze, die den Besucherinnen des Stadtzentrums auf 3400 Metern Höhe zugute kommt und den HändlerInnen ein paar Cent einbringt. Andere Inhaber kleiner Geschäfte schimpften noch zu meiner Ankunft über die einige Wochen zuvor stattgefundenen Protestmärsche.

Nach der langen Leidenszeit durch Corona würden sich nun die Peruaner durch die Stilllegung der Innenstädte die Probleme selbst schaffen, mit der erneuten Folge, dass die Touristen lieber fernblieben.

Trotz der politisch unruhigen Zeiten hat mich die deutsch-peruanische Sprachenschule “Acupari” in Cusco als Spanischlernenden aufgenommen. Die wunderbaren Lehrer*innen der Sprachschule haben mich immer wieder auf kulturelle Gewohnheiten und Veranstaltungen aufmerksam gemacht.

Thomasberger Goldabbaugebiet

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Ein Goldabbaugebiet

Dazu gehört das Trinken der heißen, fast schleimigen und sehr wohltuenden Frühstücksgetränke (u.a. aus Quinoa), die in den kalten Morgenstunden im Vorbeigehen am Straßenrand eingenommen werden. Hinweise auf Theaterveranstaltungen führten mich in die pulsierende Theaterszene, die die schönen und weniger schönen Seiten der peruanischen Vergangenheit und Gegenwart eindrucksvoll beleuchtete.

Mehrmals in der Woche zog es mich in die in Gassen und Hinterhöfen versteckten Theater. In der letzten Woche der Sprachlernens war das Osterwochenende, an dem sich Cusco in ein Pilgerzentrum verwandelte. Gassen, Plätze, Kirchen und die Kathedrale füllten sich mit Weihrauch, so dass teilweise die Sicht getrübt war und nur noch die Predigten in Quechua (der indigenen Sprache aus dem Andenraum) und Spanisch zu hören waren.

Thomasberger Ein Gemeindebewohner Aus Shintuya _hinten _und Ich Auf Dem Madre Dem Madre De Dios

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Alessio Thomasberger bei einer Fahrt mit einem Einheimischen

Dabei wurde schnell deutlich, dass das Christentum den Andenbewohner*innen nicht einfach übergestülpt, sondern auf eine ganz eigene Art und Weise angeeignet wurde. Zudem wurde es für mich zur Premiere, an einem Abend des Osterwochenendes sieben Kirchen hintereinander zu besuchen. Das gilt als gute Tugend und erinnert an die sieben Stürze Jesu Christi auf seinem Weg zur Kreuzigung.

Erst mit Beendigung des Sprachkurses ging es in die 3000 Meter tiefer gelegene Amazonasregion Madre de Dios und dessen Hauptstadt Puerto Maldonado, in der auf dem Programm stand, mein Forschungsprojekt mit den indigenen Organisationen zu diskutieren.

Thomasberger Boot Am Flussufer

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Ein Boot am Rio Madre de Dios

Angeleitet vom alteingesessenen Anthropologen Thomas Moore wurde die Zusammenarbeit mit den indigenen Organisationen in der Regionalhauptstadt zu einem festen Bestandteil meiner Forschung. Wie sich herausstellte, bildeten die indigenen Organisationen einen Dreh- und Angelpunkt für WissenschaftlerInnen aus verschiedensten Regionen weltweit. Während meiner Forschungszeit bildeten wir ein interdisziplinäres und internationales Forschungsteam bestehend aus jungen WissenschaftlerInnen aus Spanien, den USA, Argentinien und Deutschland.

Neben kleineren Projekten, die wir organisiert und durchgeführt haben, war der Höhepunkt unserer Zusammenarbeit, die bis heute anhält, die Organisation einer Veranstaltung auf einer Konferenz in Leticia, Kolumbien.

Der große Erfolg, den wir verbuchen konnten, war, dass wir mit vier indigenen ForschungskollaborateurInnen anreisen und die Veranstaltung mit ihnen durchführen konnten. Von Puerto Maldonado aus führte mich der Forschungsansatz der Mutli-Sited Ethnography zu den indigenen Gemeinden der Reserva Comunal Amarakaeri und unter anderem zu den Goldminen, die um das Reservat liegen.

Thomasberger Madre De Dios

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Der Sonnenuntergang am Rio Madre de Dios

Die indigene Gemeinde Shintuya wurde neben der Arbeit mit den Institutionen der regionalen Hauptstadt zum Hauptteil meiner Forschung. Shintuya ist ein wunderbarer Ort mit wunderbaren Menschen, Thermalquellen und einer fantastischen Flora und Fauna.

Mit dem Ziel als Forschender mit qualitativer Methodenausrichtung die Umsetzung eines Naturschutzprojektes und die Perspektive der GemeindebewohnerInnen darüber zu untersuchen, war es entscheidend, Akzeptanz der BewohnerInnen zu erfahren. Durch die Teilhabe am Lebensalltag, vielen informellen sowie semi-strukturierten Interviews, konnte ich so praktische Handlungen der BewohnerInnen direkt mit Interviewaussagen in Verbindung bringen und miteinander vergleichen.

Thomasberger Die Aussicht Auf Dem Weg Richtung Shintuya

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Die Aussicht auf dem Weg Richtung Shintuya

Um diesem Ziel näher zu kommen, wurde ich Teil des Haushalts einer jungen Familie und nahm an täglichen Aktivitäten teil. Dazu gehörten die Teilnahme an eher abenteuerlichen Aktivitäten wie das ernten von Bananenstauden unter strömenden Regen oder die Begleitung beim Jagen und Fischen. Gegen Ende meiner Forschung nahm ich immer mehr an den wirtschaftlichen Aktivitäten anderer Haushalte teil, die mit dem Naturschutzprogramm in Bezug standen.

Da die Forschung im realen Kontext und nicht im Labor stattfindet, besteht bei der qualitativen Forschung und der teilnehmenden Beobachtung eine besondere Herausforderung darin, zu entscheiden, wann die/der Forschende sich aus dem Alltag rauszieht, um an ihren/seinen Notizen und theoretischen Aspekten der Forschungsarbeit zu arbeiten.

Thomasberger Regen Ueber Dem Regenwald

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Der Regen über dem Regenwald

Denn täglich ereignen sich Geschehnisse, die für das Forschungsvorhaben von Belang sind. Gerade deshalb ist es von großer Bedeutung, sich auch täglich die Zeit zu nehmen, um Notizen, Fragebögen und Zwischenanalysen zu erstellen, die für die letztendliche Analyse der erhobenen Daten von entscheidender Bedeutung sein werden.

Der Goldabbau ist eine extraktive Tätigkeit, die in den letzten Jahrzehnten einen starken Einfluss auf die Region und die dort lebenden Menschen ausgeübt hat. Seit den 1970er Jahren, mit einem zweiten Schub in den 2000er Jahren, sind Menschen in das Gebiet der Harakbut migriert, um dort Gold zu schürfen. Wo früher per Hand und mit kleinen Motoren geschürft wurde, stehen heute modernste Bagger, die den Wald in eine Wüstenlandschaft umwälzen.

Thomasberger Eine Strasse Und Mural In Cusco

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Ein Wandgemälde in Cusco

Vom satten, grünen Regenwald waren nur noch vereinzelte Palmen in einer steinigen Grubenlandschaft übrig geblieben. Einzelne indigene Gemeinden waren von der Invasion so stark betroffen, dass sie dem Goldrausch nicht standhalten konnten.

Der Goldabbau durch sesshaft gewordene Binnenmigranten steht im krassen Gegensatz zum kulturellen Erbe der Harakbut, das ein respektvolles Zusammenleben mit nichtmenschlichen Lebewesen beinhaltet und in der Identität über das Territorium definiert wird.

Das Naturschutzprojekt REDD+ Indigena Amzonico, das zentraler Forschungsgegenstand ist, war von indigenen Harakbut ein Versuch, das Spannungsfeld zwischen extraktiven Wirtschaftsaktivitäten und nachhaltigen Wirtschaftsprojekten auf kreative Weise aufzubrechen.

Die indigenen Organisationen haben einen Gegenentwurf zur internationalen Naturschutzinitiative REDD+ entwickelt, der auf der Kosmologie der Harakbut und ihrem Ursprungsmythos Wanamey basiert. Wanamey war ein Baum, der in Zeiten von Überschwemmungen und Bränden aus der Landschaft emporwuchs und den Harakbut und Tieren als Zufluchtsort diente. Wanamey rettete sie nicht nur, sondern lehrte dabei auch das respektvolle Zusammenleben von Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen.

Thomasberger _rio Madre De Dios

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Eine Flussbiegung des Rio Madre de Dios

Für meine Forschung war es unglaublich interessant, zu erfahren, wo die Umsetzung des sozial orientierten Naturschutzprojektes in der Zusammenarbeit von indigenen Organisationen mit ihren Gemeinden, NGOs und staatlichen Akteuren gelang und wo sie auf Schwierigkeiten stieß.

Mit anderen Worten erfuhr ich mit meiner Forschung, wie die Harakbut mit dem Gegenvorschlag zur Naturschutzinitiative ihre Selbstbestimmung durchsetzen, die auf grundlegend anderen Axiomen beruht, und welche Mechanismen der globalen Verflechtung in die Umsetzung des Gegenvorschlages beeinflussen.

Da die Vorschläge der Harakbut zu Lösungsansätzen im Kontext des Klimawandels nicht nur für sie, sondern auch für die globale Welt von Bedeutung sind, sprechen meine Forschungsergebnisse für eine stärkere Einbindung der Indigenen in die Diskussion um den Klimawandel. Ziel meiner Arbeit ist es, die Forschungsergebnisse in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen. Im nächsten Schritt müssen sie dafür zu Papier gebracht werden.

Thomasberger Regenbogen Uber Dem Sportplatz Der Indigenen Gemeinde Palotoa

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Ein Regenbogen über dem Sportplatz der indigenen Gemeinde Palotoa

Nach der empirischen Datenerhebung/ Feldforschung ist das eine kleine Herausforderung. In den ersten Wochen nach meiner Rückkehr musste ich mich erst wieder an das Leben in Deutschland gewöhnen und meinen Alltag organisieren. Die Sinne fühlten sich in dieser Zeit geschärft an, weil ich nach einer langen Zeit wieder in das gewohnte Umfeld gekommen bin.

Die Menschen in meinem Umfeld in Madre de Dios und in Deutschland sind dann doch mit ganz anderen Alltagsproblemen konfrontiert. Dennoch hat mich die Forschungsreise eines gelehrt, dass die Welt viel enger miteinander verflochten ist, als man sich das vielleicht im Alltag in Deutschland vorstellt.

In den indigenen Gemeinden schienen mir diese Verflechtungen jedenfalls viel präsenter. Das zeigt sich bei der Kenntnis der neuesten Fußballergebnisse, aber auch bei schwerwiegenden Themen wie dem Goldabbau für den Weltmarkt, der Präsenz von Drogenkartellen mit europäischen Abnehmern oder dem Klimawandel, für den die Menschen vor Ort wenig können, die Konsequenzen aber eben viel spürbarer sind.

Stand: Juli 2024.