Christine Meibeck

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Bootsfahrt auf dem Osterfjord

„Während meiner Forschungsaufenthalte in Norwegen und den USA habe ich Archivrecherchen durchführen können, die für mein Promotionsprojekt ausschlaggebend sind. Daneben hatte ich außerdem die Möglichkeit, wissenschaftliche Kontakte zu knüpfen und neue Perspektiven auf mein Forschungsthema kennenzulernen.“

Frau Christine Meibeck studiert Geschichtswissenschaften, mithilfe des Knapp Stipendiums der DAAD-Stiftung konnte sie für ihr Promotionsprojekt nach Norwegen und in die USA reisen, um dort zu forschen.

Im Folgenden berichtet sie von ihrer Forschung und Erlebnissen:

In meinem Promotionsprojekt untersuche ich die Geschichte der jüdischen Flüchtlinge in Norwegen 1933 – 1945. Im Zentrum der Untersuchung stehen die norwegische Flüchtlingspolitik sowie deren Umsetzung in der Praxis durch die zuständigen Behörden, sowie die Tätigkeiten der nichtstaatlichen Flüchtlingshilfe, die sich in Opposition zur Regierung für die Aufnahme von verfolgten Jüdinnen und Juden einsetzte. Ein weiterer Schwerpunkt soll die Erfahrung des jüdischen Exils in Norwegen aus der Perspektive der Betroffenen sein, vor und während der deutschen Okkupation.

Ein großer Teil der hierfür relevanten Quellen befindet sich in norwegischen Archiven, allen voran dem norwegischen Reichsarchiv in Oslo, in dem unter anderem die Bestände des Justizministeriums, dem die zuständigen Polizei- und Einwanderungsbehörden unterstanden, liegen. Des Weiteren bewahrt das Holocaustzentrum für Holocaust- und Minderheitsstudien Nachlässe ehemaliger jüdischer Flüchtlinge auf, von speziellem Interesse für mein Projekt sind hier private Briefe, aber auch Korrespondenzen mit Mitgliedern von Hilfsorganisationen.

Im Jüdischen Museum Oslo liegen die Bestände der Jüdischen Gemeinde; hier ist insbesondere das Archiv des Jüdischen Hilfsvereins, der hunderten von verfolgten Jüdinnen und Juden zur Einreise nach Norwegen verhalf, von entscheidender Relevanz für mein Projekt.


Meibeck Reichsarchiv Oslo

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Reichsarchiv in Oslo

Der norwegische Repräsentant der amerikanisch-jüdischen Wohlfahrtsorganisation Joint Distribution Committee (JDC) und Vorsitzender des Jüdischen Hilfsvereins, Marcus Levin, wanderte nach dem Krieg in die USA aus, weshalb sein Nachlass heute im Archiv des JDC in New York aufbewahrt wird. Der JDC arbeitete von New York aus eng mit dem Jüdischen Hilfsverein Norwegen zusammen und leistete unter anderem finanzielle Unterstützung, weshalb auch die Sachakten des JDC zu Norwegen für meine Recherchen relevant sind, die im selben Archiv aufbewahrt werden. Im Archiv des United States Holocaust Memorial (USHMM) in Washington, D.C., befinden sich Akten des Stockholmer Büros des JDC, für das ab 1941 auch Marcus Levin nach seiner Flucht aus Norwegen nach Schweden tätig war.

Das Büro unterstützte Jüdinnen und Juden, die nach Beginn der deutschen Okkupation Norwegens nach Schweden fliehen mussten, darunter auch eine große Zahl deutschsprachiger Flüchtlinge. Die meisten von ihnen ergriffen erst im Angesicht der drohenden Deportation Ende 1942 die Flucht und wurden mithilfe des norwegischen Widerstands über die grüne Grenze nach Schweden geschmuggelt. Die in Norwegen verbliebenen Jüdinnen und Juden zwischen November 1942 und Februar 1943 wurden nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Ebenfalls befinden sich im Archiv des USHMM mehrere Sammlungen ehem. jüdischer Flüchtlinge, darunter Nachlässe, Korrespondenzen und Erinnerungsberichte.

Ich habe während meiner Forschungsaufenthalte in Norwegen und in den USA hauptsächlich in drei verschiedenen Aktenbeständen und -gattungen recherchiert: Erstens in den Akten der für die Bearbeitung von Einwanderungsgesuchen zuständigen staatlichen Behörden, zweitens in Beständen jüdischer Hilfsorganisationen und drittens in Nachlässen ehemaliger jüdischer Flüchtlinge. In den Beständen der Einwanderungsbehörden konnte ich wichtige Erkenntnisse zum Vorgehen der Behörden bei der Bearbeitung von Einreiseanträgen, insbesondere im Umgang mit jüdischen Flüchtlingen, gewinnen.Während die Regierung für die Einreise politisch Verfolgter Sonderregelungen schuf, finden sich in den Akten immer wieder deutliche Anweisungen, jüdische Anträge in jedem Fall abzulehnen.

Meibeck Winterlandschaft Norwegen
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Winterlandschaft bei Oslo

Nach meinen bisherigen Erkenntnissen ist allein Personen, die ein Visum und Reiseunterlagen für die Weiterreise in einen Drittstaat vorweisen konnten, ein befristeter Aufenthalt von meisten wenigen Tagen genehmigt worden. Um eine längerfristige Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, benötigten Jüdinnen und Juden die Bürgschaft einer norwegischen Hilfsorganisation, die jegliche finanzielle Unterstützung übernahm und die Einreise organisierte. Fälle, in denen Personen ohne Vorweis eines Visums oder einer Bürgschaft einer Hilfsorganisation einreisen durften, sind mir bisher nicht bekannt.

Der norwegische Staat übernahm damit weder moralische noch praktische Verantwortung für verfolgte Jüdinnen und Juden, sondern lagerte sie an nichtstaatliche Hilfsorganisationen, die sich hauptsächlich durch Spenden finanzierten, aus. Die wichtigsten Hilfsorganisationen, die sich für die Unterstützung jüdischer Flüchtlinge einsetzten, waren die Nansenhilfe und der Jüdische Hilfsverein. Die Akten der Nansenhilfe sind nicht überliefert, da ihre Mitglieder alle Unterlagen beim Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im April 1940 zerstörten, um sich vor Verfolgung zu schützen. Spuren ihrer Tätigkeiten lassen sich jedoch in den Beständen der Einwanderungsbehörde finden, darunter vor allem unzählige Einreiseanträge, die die Nansenhilfe für Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich bei der Behörde stellte

Die Korrespondenzakten des Jüdischen Hilfsvereins konnte ich im Archiv des Jüdischen Museum Oslos einsehen. Über das Ausmaß seiner Aktivitäten ist bisher kaum etwas bekannt, da sie noch nicht Thema umfangreicherer Forschungen waren. Der bisherige Fokus lag hier deutlich auf der Geschichte des politischen Exils, dessen prominentester Vertreter sicherlich der spätere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt ist. In den entsprechenden Forschungsbeiträgen wurde der Jüdische Hilfsverein, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Nach der ersten Durchsicht der überlieferten Akten konnte ich jedoch bereits feststellen, dass das Engagement des Hilfsvereins weitaus größer und deutlich proaktiver war als bisher angenommen.

Durch Einsicht und erste Auswertung der Bestände haben sich neue Forschungsfragen ergeben, denen ich in meinen weiteren Recherchen nun nachgehen werde. Ich möchte eruieren, welche gesellschaftliche Rolle oder Position die jüdischen Vereinsmitglieder durch ihr Engagement für sich einforderten und inwiefern ihr Aktivismus als Demonstration von Zugehörigkeit zum norwegischen Staat und als Manifestierung einer genuinen und distinktiven norwegisch-jüdischen Identität gedeutet werden kann. Zudem möchte ich ihr Engagement für jüdische Flüchtlinge und gegen die in Teilen deutlich als antisemitisch zu bewertende Zuwanderungspolitik der Regierung im Kontext von jüdischer Selbstbehauptung und Widerstand gegen antisemitische Diskriminierung und Verfolgung untersuchen.

Für die Verfolgung dieses Ansatzes bzw. die Beantwortung dieser Forschungsfragen sind ebenfalls die Bestände der US-amerikanischen Hilfsorganisation JDC von großer Relevanz, die ich in New York einsehen konnte. Aus den Korrespondenzakten des Jüdischen Hilfsverein ging bereits hervor, dass dieser mit europäischen und internationalen jüdischen Gemeinden und Organisation in Kontakt stand, um Gelder für die Versorgung der Flüchtlinge in Norwegen zu akquirieren, aber auch, um in Einzelfällen proaktiv Hilfe leisten zu können und Betroffenen von Verfolgung eine sichere Zuflucht in Norwegen zu ermöglichen.

Meibeck Sognvann

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Sognsvann See bei Oslo

Da ein Hauptaugenmerk meiner Forschung auf den Erfahrungen und Perspektiven der jüdischen Geflüchteten selbst liegen soll, sind die Lokalisierung und Auswertung von Ego-Dokumenten, d.h. Tagebücher, Briefe, Erinnerungsberichte und andere persönliche Aufzeichnungen, von besonderer Bedeutung. Die Recherche nach diesen Quellen ist sehr viel aufwendiger und erfordert mehr Vorarbeit, da sie nicht wie Behördenakten geschlossen überliefert und einem zentralen Archiv übergeben wurden, sondern verstreut aufbewahrt werden; die Überlieferung ist sehr zufällig und die Lokalisierung dieser Quellen letztlich oftmals Glück.

Während meiner Forschungsaufenthalte in Norwegen und den USA konnte ich mehrere solcher Sammlungen und Nachlässe einsehen, meine Recherchen sind diesbezüglich jedoch noch nicht abgeschlossen, da ich weiterhin auf der Suche nach entsprechenden Quellen bin. Diese persönlichen Aufzeichnungen sind insbesondere als Kontrast zu den Dokumenten der Einreisebehörden, in denen sehr sachlich und nüchtern über das Schicksal von Menschen verhandelt wird, von großer Bedeutung für mein Projekt und ermöglichen einen persönlichen und authentischen Einblick in die Erfahrung von Flucht und Exil.

Neben den Archivrecherchen konnte ich während meiner Forschungsaufenthalte auch wichtiger Kontakte für meine weitere wissenschaftliche Laufbahn knüpfen. In Norwegen habe ich u.a. den Leiter des Schifffahrtsmuseums Bergen, getroffen, der zur norwegisch-nordamerikanischen Migrationsgeschichte forscht und mir wertvolle Hinweise und Impulse bezüglich des Themas Transmigration geben konnte. Die jüdischen Transmigrantinnen, Transmigranten und Flüchtlinge, die zwischen 1933 und 1940 Norwegen auf dem Weg in die USA passierten, wurden bisher weder numerisch erfasst, noch ist dieses Thema im Kontext der Exilgeschichte Norwegens erforscht worden.

Meibeck USA

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Links: C.Meibeck vor dem Capitol
Rechts: Ausblick aus dem Museum of African American Culture

In Oslo habe ich den Leiter des Jüdischen Museums kennenlernen können, der zur Flucht von Jüdinnen und Juden aus Norwegen nach Schweden nach der deutschen Okkupation Norwegens gearbeitet hat, unter denen sich auch ca. 200-300 deutschsprachige Flüchtlinge befanden. Er konnte mir wichtige Hinweise geben sowie Kontakte in schwedische Archive vermitteln, die für meine zukünftigen Recherchen sicherlich hilfreich sein werden.

Das Fazit meiner Forschungsaufenthalte in den USA und in Norwegen ist durchweg positiv. Durch die großzügige Finanzierung des Knapp-Stipendiums der DAAD-Stiftung hatte ich die Möglichkeit, die Recherchen für mein Promotionsprojekt in Norwegen und in den USA durchzuführen und wissenschaftliche Kontakte zu knüpfen, die für meine weitere akademische Laufbahn von großer Bedeutung sind. Für meine Arbeit als Historikerin war es aufschlussreich und interessant, neue Archive kennenzulernen und zu erfahren, wie die Archivarbeit in anderen Ländern funktioniert. Das norwegische Archivwesen habe ich als sehr viel flexibler und aufgeschlossener erlebt als in Deutschland, was die Recherchearbeit erleichtert und effizienter gemacht hat.

Es war für mich persönlich außerdem eine besondere Erfahrung, das USHMM in Washington, D.C., als eines der größten Museen und Archive zur Geschichte des Holocaust zu besuchen. Die Auseinandersetzung mit fremden historischen Perspektiven – in diesem Fall der US-amerikanischen – empfinde ich stets als konstruktiv und eröffnet den Anlass, seine eigenen Sichtweisen zu hinterfragen.

Neben meinen Recherchetätigkeiten hatte ich zudem ausreichend Möglichkeit, Sehenswürdigkeiten, Wahrzeichen und Museen zu besichtigen, insbesondere die Museumslandschaft in Washington, D.C., ist sehr beeindruckend. In Oslo habe ich vor allem die Natur sehr genossen. Spaziergänge und Wanderungen in der Umgebung waren ein willkommener und entspannender Ausgleich zur täglichen Archivarbeit. Es war zudem eine interessante Erfahrung, einen alltäglichen Eindruck von Orten zu gewinnen, die ich bisher nur als Touristin erlebt habe.

Meine Recherchen im Reichsarchiv in Oslo sind noch nicht abgeschlossen, da die Quellenbestände umfangreicher und die Akteneinsicht zeitaufwendiger ist, als anfänglich eingeschätzt. Dies betrifft insbesondere die Akten der Einwanderungsbehörde. Durch die Akquise von Forschungsgeldern werde ich im Jahr 2024 weitere Forschungsreisen nach Norwegen, als auch erstmals nach Schweden, unternehmen können.

Stand: September 2023.