Michael Kaufmann - seine Art zurück zu geben

Privat

Michael Kaufmann auf dem Weg nach Mérida (Andenregion) im Bundesstaat Mérida

"Gerade in einer Zeit, die die Diskussion um eine deutsche Leitkultur und diverse Ängste prägt, halte ich die Förderung des direkten Kontaktes mit ausländischen Kulturen für wichtig"

 Michael Kaufmann – heute Senior IT Consultant - hat 1998 im Rahmen des Programms AIESEC (ursprünglich Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales) ein Praktikum bei InterCable, C.A., einem Anbieter von Kabelfernsehen in Venezuela, gemacht. Seinerzeit hat er vom DAAD einen Zuschuss erhalten.

Nun möchte Herr Kaufmann zurückgeben, was er schon seit April 2015 mit einem Dauerauftrag an die DAAD-Stiftung tut. Hier schildert er seine persönlichen Erfahrungen und Eindrücke sowie seine Motivation:

Da stand ich nun an der Kasse eines Ladens in Barquisimeto, Venezuela, und war relativ ratlos. Der Einkaufswagen passte nicht durch den Gang neben dem Band an der Kasse. Die Kassiererin konnte ich nicht nach der Lösung für dieses kleine Dilemma fragen, da mein Castellano zu dem Zeitpunkt noch alles andere als alltagstauglich war. Ansonsten war der Laden weitgehend leer.

Das ist eine der vielen Erfahrungen, die man während eines Auslandsaufenthaltes machen kann. Man muss sich nicht nur auf eine andere Kultur, sondern teilweise auch auf andere Denkstrukturen einlassen.

Ich durfte während meines dreimonatigen Aufenthaltes sehr viel erleben, was ich auch meiner Gastfamilie verdanke. Sie nahm mich mit zu einer Piñata, zeigte mir einige Plätze des wichtigsten Nationalhelden „Bolívar“ und reiste mit mir nach Coro, einer Stadt naher der Wüste. Außerdem war die Familie war davon überzeugt, schon einmal ein UFO gesehen zu haben, und traf sich regelmäßig mit Gleichgesinnte – ungewöhnlich, aber interessant

Ansonsten kam ich dank Mitgliedern von AIESEC weit herum. Ich verbrachte Zeit in der Hauptstadt Caracas, der Küstenstadt Chichiriviche und nahm an zwei Fernsehauftritten teil. Über dies machte das Komitee Werbung bei lokalen Unternehmen.

Mein Name war für viele Venezolaner relativ schwer auszusprechen. Daher musste ich ihn übersetzen. Genannt wurde ich „Michael“ (englisch ausgesprochen) „Comerciante“ oder „El Comerciante“ (der Händler).

Nicht jedes Erlebnis war angenehm. In Venezuela wird sehr auf Äußerlichkeiten und die Pflege geachtet. Es gilt z.B. als ungepflegt, wenn man zusätzlich zum Deodorant nicht noch Parfüm oder After Shave benutzt. So war es für mich nur bedingt amüsant, als ein Studentenvertreter meinen Chef dahingehend aufklären musste, dass dies in Deutschland anders ist. Natürlich wurde Abhilfe geschaffen. Das Gleiche galt auch für meinen Bart. Dieser musste ab.

Pünktlichkeit konnte ich nicht annähernd erwarten. Das verwirrte mich ziemlich. Eine Verspätung von zwei Stunden ist im privaten Umfeld durchaus üblich. Diebstahl war leider auch ein offenes Problem in Venezuela. In einem geschlossenen, bewachten Einkaufszentrum ließ ich mein Jackett hängen. Meine Begleiter konnten nicht verstehen, dass ich nach etwa fünf Minuten im Auto, auf eine Rückkehr zum Zentrum bestand. Das Jackett war, da hatten sie vollkommen recht, nicht mehr da.

Der DAAD hatte meine Reise mit 1000 DM unterstützt. Durch das Beibringen aller Unterlagen für die venezolanische Botschaft waren Kosten entstanden, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Der bürokratische Aufwand für eine Arbeitserlaubnis war beachtlich gewesen (HIV-Test, diverse Beglaubigungen und beglaubigte Übersetzungen meiner Zeugnisse). Da hat mir der DAAD mit seiner Zuwendung sehr geholfen.

Meine neuen Kollegen vor Ort hätten dies weniger eng gesehen. Vor Ort hatten sie scherzhaft geäußert, ich sei der legalste Venezolaner, den sie kennen. Einige Studenten in anderen AIESEC-Standorten hatten offenbar ein normales Touristenvisum für die Einreise genutzt und arbeiteten dann dennoch. Ich würde es allerdings bis heute nicht anders tun: Das ist wohl typisch deutsch.

Jetzt, fast achtzehn Jahre später möchte ich etwas zurückgeben. Mittlerweile habe ich den ursprünglichen Betrag "zurückgezahlt" und etwas mehr an die DAAD-Stiftung gespendet.

Gerade in einer Zeit, die die Diskussion um eine deutsche Leitkultur und diverse Ängste prägt, halte ich die Förderung des direkten Kontaktes mit ausländischen Kulturen für wichtig. Selbst wenn man das Ziel hat sich abzugrenzen, hat man dazu kaum eine Möglichkeit, wenn man gar nicht weiß, wovon. Das Recht auf ein parfümfreies Leben, Unattraktivität und breite Kassengänge werden mir jeweils zu wenig diskutiert.
Bei international arbeitenden Konzernen ist es zudem wichtig, die Befindlichkeiten der Kunden zu kennen. Es wäre z. B. ungünstig, wenn sich ein Kunde unzufrieden wegdreht und eine weitere Zusammenarbeit ablehnt, nur weil man die jeweiligen kulturellen Gepflogenheiten nicht berücksichtigt.

Was macht man nun mit dem Einkaufswagen? Man entleert ihn auf dem Band und gibt ihm einen kräftigen Schubs, so dass er ins Ladeninnere rollt. Möglichst versucht man, dabei niemanden zu treffen. Es gibt Personal, das sich um den Wagen kümmert. Dieses steht auch am Ende des Kassenbandes und packt alles, bevor man eingreifen kann, in dünne Plastiktüten ein.

Nicht alle Erfahrungen während eines Auslandsaufenthalts wird man gut finden können. Das sollte jedoch nicht entmutigen. Meiner Einschätzung nach lernt man sogar von überraschend negativen Erlebnisse am meisten über sich selbst und andere.