Elena von Ohlen
Privat
Elena von Ohlen verbrachte einen Forschungsaufenthalt an der Universidad de los Andes in Bogotá
"Der DAAD-Stiftung bin ich zu immensem Dank verpflichtet, denn der Aufenthalt in Bogotá hat meine akademische Laufbahn und mein Dissertationsprojekt schon jetzt enorm positiv beeinflusst. Ohne das Gustav Schübeck-Stipendium wäre dies nicht möglich gewesen."
Elena von Ohlen promoviert zum Thema der Repräsentation von Gewalt an Frauen in Lateinamerika. Durch das Gustav Schübeck-Stipendium der DAAD-Stiftung konnte sie im Rahmen ihrer Dissertation in Bogotá forschen und neue interdisziplinäre Ansätze finden.
Hier berichtet sie von ihren kulturellen und akademischen Erfahrungen in Kolumbien:
Nach längeren Aufenthalten an Universitäten in Chile und Mexiko während meiner Studienzeit bekam ich Anfang 2020 dank der DAAD-Stiftung die Möglichkeit, meinen ersten Forschungsaufenthalt in der Promotionsphase an der Universidad de los Andes in Bogotá, Kolumbien, zu realisieren. Da sich mein interdisziplinär angelegtes Dissertationsprojekt mit der Repräsentation von Gewalt an Frauen in den zeitgenössischen lateinamerikanischen Literaturen befasst, war es für mich unabdingbar, vor Ort zu recherchieren und besonders im rechtswissenschaftlichen Bereich Kontakte zu knüpfen.
Während meine Promotion in Berlin an einem philologischen Institut angesiedelt ist, konnte ich in Bogotá die Möglichkeit nutzen, an einem rechtswissenschaftlichen Institut Recherchen zu betreiben und mich mit Expert*innen auszutauschen. Sowohl Forschung als auch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu Gewalt an Frauen sind auf dem lateinamerikanischen Kontinent im globalen Vergleich sehr progressiv und über den Wissenschaftsbetrieb hinaus im öffentlichen Diskurs verankert. So ist beispielsweise der Begriff des Femizids – der Mord an einer Frau aus geschlechtsspezifischen Gründen –, der in meiner Forschung eine zentrale Rolle spielt und hierzulande kaum bekannt ist, in fast allen lateinamerikanischen Ländern ein eigenständiger Straftatbestand. Nicht zuletzt, weil ich mir erhoffe, mit meiner Dissertation einen nachhaltigen Beitrag zur Bekämpfung und Prävention von Gewalt an Frauen zu leisten, sind wissenschaftliche Kontakte und Ressourcen aus den Regionen, deren Literatur meine Forschung behandelt, ein wichtiger Bestandteil des Projekts.
Die Universidad de los Andes ist eine der renommiertesten Universitäten Lateinamerikas und dementsprechend ausgezeichnet ausgestattet. Neben der regelmäßigen Teilnahme am Forschungscolloquium der Promovierenden des Fachbereichs Rechtswissenschaften konnte ich verschiedene Veranstaltungen besuchen, bei denen ich an unterschiedlichsten, manchmal unvorhergesehenen Stellen Anknüpfungspunkte zu meiner Dissertation herstellen konnte.
Die außergewöhnliche Infrastruktur der Universität erlaubte es mir, verschiedenste Arbeitsplätze zu nutzen. Bevorzugt habe ich den vom Fachbereich Rechtswissenschaften zur Verfügung gestellten Arbeitsbereich für die Promovierenden genutzt – eine komplette Etage mit mehr als 20 Arbeitsplätzen, allesamt mit Computern ausgestattet, Kaffeemaschine und Trinkwasserspender – was es mir erlaubte, mich täglich mit den anderen Doktorand*innen auszutauschen und jederzeit Nachfragen stellen zu können, wenn ich als Literaturwissenschaftlerin an die Grenzen meines juristischen Wissens stieß.
Mein Betreuer vor Ort, der Jurist Professor Jorge González Jácome, der selbst u.a. an der Schnittstelle zwischen Recht und Literatur arbeitet, hat mir zudem auch Kontakte an die benachbarte Universidad del Rosario vermittelt, an der einige der prominentesten Forscherinnen im Bereich der geschlechtsspezifischen Gewalt arbeiten. Aus diesem Kontakt sind neben wichtigen Erkenntnissen für meine Arbeit bereits diverse Kooperationen entstanden, darunter ein für Anfang 2021 geplanter gemeinsamer Vortrag im Rahmen einer digitalen Ringvorlesung und eine ebenfalls für 2021 geplante Publikation.
Der Blick auf Bogotá
Auch über meine Forschung hinaus konnte ich einen Einblick in eine demografisch und historisch komplexe Metropole gewinnen, die neben zahlreichen Museen, einer Mischung aus moderner und frühneuzeitlicher Architektur, unzähligen kleinen und großen Universitäten und häufigen spontanen Gewittern auch an jeder Straßenecke großartigen Kaffee zu bieten hat. Dass Bogotá bei mehr als sieben Millionen Bewohner*innen über kein U-Bahn-Netz verfügt und trotzdem „funktioniert“ ist für mich bis heute nicht zu begreifen. Das, obwohl ich direkt am Campus im 25. Stock einer modernen Unterkunft für Studierende gewohnt habe, aus dessen Panoramafenstern heraus ich den Puls der Stadt tagtäglich wieder zu analysieren versucht habe. Eine Freundin aus Bogotá hat es für mich bei einem unserer Ausflüge im TransMilenio Bus so erklärt: Jede und jeder hat einen Platz in Bogotá, aber es kann Jahre dauern, ihn zu finden. Und manche haben nicht das Privileg der Suche.
Auch wenn Bogotá für mich noch ein Rätsel bleibt und ich auf ein Wiedersehen hoffe, hat die Stadt mir doch zahlreiche neue Perspektiven eröffnet. Einzig die Archivarbeit, die für die letzten drei Wochen des Aufenthalts vorgesehen war, konnte ich nicht mehr durchführen. Die Corona-Pandemie kam dazwischen. Für den Zeitpunkt, an dem die Behörden vor Ort wieder regulären Betrieb aufnehmen, ist nun eine digitale Recherche vorgesehen, die hoffentlich zumindest einige der offenen Fragen klären können wird. Die Umstellung auf den digitalen Lehr- und Forschungsbetrieb verlief an der Universidad de los Andes schnell und effizient. Während Bibliotheken sehr viel früher geschlossen wurden als hierzulande, konnte ich auch nach meiner Abreise noch einige Digitalisierungsaufträge einreichen, deren Bearbeitung ebenso schnell vonstattenging.
Als klar wurde, dass die Ausreise nicht mehr lange möglich sein würde, habe ich mich Mitte März in Absprache mit der Deutschen Botschaft, dem DAAD (a.d.R.: der DAAD e.V. ist Treuhänder der DAAD-Stiftung) und der Freien Universität Berlin dazu entschieden, vorzeitig abzureisen. Nur wenige Tage später waren Flughäfen geschlossen und in Bogotá wurde eine Ausgangssperre verhängt. Dass Kolumbien trotz früher Maßnahmen zur Eindämmung nun so stark von der Pandemie betroffen ist, ist auch ein weiterer Ausdruck globaler Ungleichheiten. Auch dies ist eine Erkenntnis, die wir aus einem solchen Auslandsaufenthalt gerade in Zeiten einer globalen Gesundheitskrise unbedingt gewinnen sollten.
Trotz vorzeitiger Abreise konnte Elena von Ohlen die Umgebung erkunden
Darüber hinaus konnte ich auch an der Universidad de los Andes einen Eindruck bestätigen, den ich zuvor schon bei Aufenthalten an anderen lateinamerikanischen Universitäten hatte: Flachere Hierarchien im Academia-Betrieb führen zu einer insgesamt sehr angenehmen Studien-, Arbeits- und Forschungsatmosphäre. Trotz des im Vergleich zu deutschen Universitäten meines Erachtens sehr viel höheren Leistungsdrucks und Lernaufwands führt diese Offenheit der universitären Strukturen und der Dozierenden, die in überwiegender Mehrheit die Lehre sehr ernst nehmen, zu einer äußerst hohen Studienqualität und zu einem respektvollen Miteinander. Dies gilt, so mein persönlicher Eindruck, nicht nur für private Universitäten wie die Universidad de los Andes sondern auch für die größte öffentliche Universität, die Universidad Nacional de Colombia, die in vielen Fächern noch immer als die beste des Landes gilt.
Mein leider pandemiebedingt viel zu kurzer Aufenthalt an der Universidad de los Andes war für mich eine ideale Möglichkeit des interdisziplinären Austauschs. Ich habe sowohl persönliche als auch akademische Kontakte knüpfen können, die die Zeit des Aufenthalts überdauern werden und bin der für meine Dissertation notwendigen juristischen Unterfütterung einen großen Schritt nähergekommen. Der DAAD-Stiftung bin ich zu immensem Dank verpflichtet, denn der Aufenthalt in Bogotá hat meine akademische Laufbahn und mein Dissertationsprojekt schon jetzt enorm positiv beeinflusst. Ohne das Gustav Schübeck-Stipendium wäre dies nicht möglich gewesen.
Stand: April 2020.