Andreas Jünger
Privat
Andreas Jünger beim Besuch eines ökologischen Betriebs bei Álora
"Dank des Gustav Schübeck Stipendiums der DAAD-Stiftung habe ich die einmalige Gelegenheit erhalten, mein Dissertationsprojekt entscheidend voranzubringen sowie wertvolle akademische und persönliche Erfahrungen zu sammeln."
Andreas Jünger promoviert in Deutschland zu ökologischer Landwirtschaft in Andalusien und konnte dank des Gustav Schübeck Stipendiums vor Ort forschen.
Im Folgenden berichtet er von seinen Erfahrungen in Spanien:
Durch die Covid-19-Pandemie hat sich Vieles verändert. Auch das Forschen im Ausland findet unter veränderten Bedingungen statt. Da ich mich in meiner Dissertation mit einem Thema der spanischen Zeitgeschichte auseinandersetze, hatte ich das Glück, auch mitten in der Pandemie vergleichsweise unkompliziert einen Forschungsaufenthalt durchführen zu können. Die geographische Nähe Spaniens zu Deutschland und die gemeinsamen Regelungen der Europäischen Union haben das Reisen auch in Pandemie-Zeiten ermöglicht. Dieses Glück weiß ich sehr zu schätzen, schließlich kenne ich genug Kolleg*innen, die sich inhaltlich mit ganz anderen Teilen der Welt auseinandersetzen und seit Ausbruch der Pandemie ihr komplettes Forschungsdesign ändern und/oder auf digitale Forschung umstellen mussten (aufgrund von Reisebeschränkungen, Lockdowns, etc.).
Mein Forschungsaufenthalt hatte zwei konkrete Ziele: Zum einen wollte ich durch eine Anbindung an die Universität Málaga (UMA) einen Einblick in das akademische System vor Ort erhalten und mein Netzwerk erweitern. Zum anderen sollte der Aufenthalt dazu dienen, mein bisher gesammeltes Quellenmaterial für die Dissertation zu vervollständigen. Um es direkt vorwegzunehmen: Beide Ziele konnte ich erreichen. Seit 2018 promoviere ich im Fach „Environmental Humanities“ am Rachel Carson Center der LMU München. In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit der Entwicklung der Ökolandbau-Bewegung im südspanischen Andalusien seit den 1980er Jahren. Mein Fokus liegt dabei auf den Wahrnehmungen und Praktiken sowie der politischen Umsetzung der ökologischen Landwirtschaft durch verschiedene Akteure in der Region. Es handelt sich um eine Konfliktgeschichte, die sowohl unterschiedliche lokale und transnationale Wurzeln des andalusischen Ökolandbaus nachverfolgt als auch die umkämpfte Bedeutung von „bio“ bis in die 2000er Jahre beleuchtet.
Andreas Jünger war in Torremolinos untergebracht, einem Ort nahe Málaga
Bereits während früherer Feldforschungen und Archivaufenthalte hatte ich zeitweise in Málaga gelebt, sodass mir die Stadt bei meiner Ankunft im September bereits vertraut war. Da zwischen der Benachrichtigung des Stipendienerhalts und dem anvisierten Stipendienbeginn letztlich nur wenige Wochen lagen, musste ich für eine Unterkunft allerdings ins südlich von Málaga gelegene Torremolinos ausweichen. Rückblickend war dies genau die richtige Entscheidung, da Málaga im Oktober und November das Reiseziel zahlreicher Urlauber*innen war und in der anschließenden Adventszeit die festlich erleuchtete Innenstadt aus allen Nähten platzte. In Torremolinos, gelegen an der Costa del Sol, kehrte hingegen nach dem Sommertourismus nach und nach Ruhe ein.
Die juristische Fakultät an der UMA
An der UMA war ich mit Professor Manuel Arias Maldonado (Fachbereich Politikwissenschaften) in engem Kontakt, der mich vorab als Visiting Doctoral Student eingeladen hatte. Als Experte für politische Theorie der Nachhaltigkeit und des Anthropozäns sind einige seiner Überlegungen auch für theoretische Teile meiner Arbeit von großer Relevanz. Mit ihm werde ich mich auch zukünftig weiter austauschen. Mit einem seiner Doktoranden konnte ich mir während meines Aufenthaltes ein Büro teilen. Dieses befand sich in der Juristischen Fakultät (Facultad de Derecho) am Teatinos-Campus der UMA. Abgesehen von wenigen Ausnahmen pendelte ich an mindestens einem Tag in der Woche zwischen Torremolinos und dem Uni-Campus. Der regionale Zug (Cercanías) benötigt für die Fahrt von Torremolinos zum Bahnhof „María Zambrano“ in Málaga gut 20 Minuten, dort musste ich in die Metro umsteigen, die etwa 10 Minuten bis zur Station „Universidad“ unterwegs ist. Fußwege und Wartezeiten eingerechnet benötigte ich in der Regel zwischen 45-55 Minuten für eine Strecke. Eine wichtige Gelegenheit, um weitere Kolleg*innen der Universität kennenzulernen, war das Mittagessen. Auch in der Mensa wird in Spanien in der Regel nicht vor 13:30/14:00 Uhr mit dem Mittagessen begonnen und anders als in deutschen Mensen ist standardmäßig ein 3-Gänge-Menü vorgesehen (in der Mensa der Facultad de Derecho kostete dies unter fünf Euro).
Nicht unerwähnt bleiben soll die „neue Normalität“ im akademischen Betrieb, die in zunehmendem Maße parallel aus Präsenz- und Online-Formaten besteht. So nahm ich auch weiterhin an einigen Treffen des Rachel Carson Center teil und hielt zwei virtuelle Vorträge im Kontext eines britischen Seminars („Modern Spanish History Doctoral Seminars“) sowie einer Panel Discussion der Brandeis University („Fighting for a Livable Future: The Climate Movement in Germany, Europe, and the Americas – New Scholarship“).
Im Archiv der CCOO in Sevilla recherchierte Andreas Jünger für seine Dissertation
Neben dem Austausch an der UMA und der Arbeit an meiner Dissertation in der Unterkunft an der Costa del Sol unternahm ich auch einige Reisen in Andalusien, um noch fehlendes Quellenmaterial für einige Kapitel meiner Dissertation einzusehen und digital abzuspeichern. So unterhielt ich mich auf einem Bio-Markt im Küstenort Benalmádena mit derzeit aktiven Produzent*innen und besuchte nahe der Stadt Álora einen ökologischen Betrieb, der bereits Anfang der 1980er Jahre von einer Holländerin ins Leben gerufen wurde. Da nur noch die Nachfahren leben, konnte ich leider kein Zeitzeugen-Interview machen, erhielt aber Zugriff auf Fotos und Dokumente. Bei einem Aufenthalt in Granada wurden mir Teile der schriftlichen Dokumentation der Vereinigung „El Encinar“ zugänglich gemacht. Dieser Zusammenschluss von Produzent*innen und Konsument*innen aus der Umgebung von Granada existiert seit 1993 und stellt ein wichtiges Beispiel für Stadt-Land-Verbindungen in der Öko-Szene dar. Als sehr hilfreich erwiesen sich unter anderem handschriftliche Fragebögen von vor über 13 Jahren, die detaillierte Informationen zu einigen Bio-Betrieben liefern. Schließlich verbrachte ich auch mehrere Tage in Andalusiens Provinzhauptstadt Sevilla. Dort hielt ich mich überwiegend in zwei Archiven auf: im Archiv des andalusischen Landwirtschaftsministeriums (Consejería de Agricultura) sowie im Archiv der Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras). Während ich im Ministeriumsarchiv vor allem Dokumente zur Institutionalisierung des ökologischen Landbaus sammelte (1991/92 schuf die Europäische Gemeinschaft ein einheitliches Regelwerk für den Ökolandbau in Europa, auf dessen Grundlage in den Mitgliedsstaaten nach und nach nationale/regionale Förder- und Kontrollinstitutionen geschaffen wurden), lieferte mir das Gewerkschaftsarchiv Unterlagen zur Rolle der Landarbeiter*innen bei den ersten agrarökologischen Projekten in den 1980er Jahren.
Sonnenuntergang in Sevilla
Natürlich besteht während eines Forschungsaufenthalts nicht nur die Gelegenheit zum Forschen, sondern gibt es auch Möglichkeiten, um neue Menschen, Kulturen und Orte kennenzulernen. Die Schönheit und Diversität der städtischen und ländlichen Räume Andalusiens halten unweigerlich besondere Momente bereit. Für mich waren das unter anderem der Sonnenuntergang am Flussufer des Guadalquivir in der Innenstadt Sevillas und der Blick auf die Alhambra vom gegenüberliegenden Albaicín-Viertel aus. Außerdem verbrachte ich das eine oder andere entspannte Wochenende am Strand oder bei Spaziergängen in Torremolinos. In diesem Kontext war es für mich besonders faszinierend, dass ich zu jener Zeit den Roman "La isla" (dt. Titel: Ein Sommer in Torremolinos) des leider schon verstorbenen spanischen Autors Juan Goytisolo las. Während ich also vor meinem inneren Auge die im Roman beschriebenen 1950er Jahre in Torremolinos vorbeiziehen ließ, erlebte ich in den Ort gleichzeitig enorm verändert im Jahr 2021. Und nicht zuletzt luden auch die kulinarischen Besonderheiten der Region dazu ein, ab und an einen Halt im Café oder in einer Bar zu machen. Es gibt nichts besseres als einen Tag mit einem "zumo de naranja natural" (frisch gepressten Orangensaft), einem "café solo" (spanischer Espresso) und "tostada con aceite y tomate" (getoastetes Brot mit Olivenöl und Tomate) zu starten! Nachmittags habe ich mir dann das eine oder andere Mal auch einen "espeto de sardinas" (am Spieß gegrillte Sardinen) gegönnt - ein typisches Gericht Málagas.
"Espeto de sardinas" als kulinarisches Highlight
Eng verknüpft mit den erfreulichen Erlebnissen, die ich gerade geschildert habe, ist meiner Ansicht nach ein Aspekt, der in der akademischen Arbeitswelt nach wie vor zu kurz kommt: So konnte ich im Zuge des Forschungsaufenthalt in Andalusien meine Work-Life-Balance enorm verbessern. Die Ursachen dafür sind gewiss vielfältig gewesen, aber gesündere Mahlzeiten, beinahe ununterbrochener Sonnenschein und Bewegung am/im Meer waren sicherlich wichtige Aspekte. Auch wenn natürlich eigentlich das Ziel sein muss, die Arbeitsbedingungen für Doktorand*innen (und Post-Docs) an deutschen Universitäten massiv zu verbessern, kam der Forschungsaufenthalt in meinem Fall auch einer persönlichen und akademischen Entschleunigung gleich, die für mehr Ruhe, Kraft und Kreativität gesorgt hat.
Ich bin der DAAD-Stiftung außerordentlich dankbar, dass ich auch in diesen schwierigen Zeiten einer globalen Gesundheitskrise nochmal die Gelegenheit erhalten habe, längere Zeit in Spanien zu verbringen. Rückblickend wurde es mir dadurch ermöglicht, die Quellengrundlage für meine Dissertation zu vervollständigen und mein akademisches Netzwerk weiter auszubauen. Ich bin mir sicher, dass die zurückliegenden drei Monate eine wertvolle Erfahrung für meine weitere akademische Laufbahn darstellen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, auch in Zukunft nochmal in anderer Position eine Zeit lang in Spanien zu leben und zu forschen.
Stand: Dezember 2021.