Joseph Bermas-Dawes

Privat

Ein Werk Adornos in der Amerika-Gedenkbibliothek

"Ich habe das Respekt & Wertschätzung Stipendium der DAAD-Stiftung als großes Privileg empfunden. Das Stipendium hat es mir ermöglicht, nach Deutschland zu reisen, um auf unschätzbare unveröffentlichte Arbeiten aus dem Theodor W. Adorno Archiv zuzugreifen und Texte zu untersuchen, die von zentraler Bedeutung für meine Dissertation zur Rezeption der Psychoanalyse in den Schriften Adornos sind. Während meines Forschungsaufenthalts konnte ich mich mit Expertinnen und Experten auf meinem Gebiet austauschen, meine Deutschkenntnisse vertiefen und in das pulsierende intellektuelle und kulturelle Leben Berlins eintauchen. All dies hat meine wissenschaftliche Entwicklung deutlich vorangebracht."

Das Respekt & Wertschätzung Stipendium der DAAD-Stiftung bot Joseph Bermas-Dawes die einmalige Gelegenheit, im Adorno-Archiv Zugang zu unveröffentlichten Dokumenten, wie beispielsweise Notizen und Vorlesungen Theodor W. Adornos, zu erhalten. Sein Aufenthalt in Berlin eröffnete ihm beruflich neue Perspektiven und Inspirationen durch die Begegnung mit namhaften Forschenden seines Fachgebiets. Persönlich fühlte er sich bereichert durch das vielfältige kulturelle Angebot der Stadt.

Als Doktorand im Fachbereich Philosophie der DePaul University arbeite ich derzeit an einer Dissertation, die sich mit der Rezeption der Psychoanalyse in den Schriften des Philosophen und Sozialtheoretikers Theodor W. Adorno aus dem 20. Jahrhundert auseinandersetzt. Das Respekt & Wertschätzung Stipendium der DAAD-Stiftung, das durch die großzügigen Zuwendungen von Dr. Michael Aven ermöglicht wurde, gab mir die einmalige Gelegenheit, für meine Dissertation relevantes Archivmaterial in Deutschland zu sichten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler meiner Fachrichtung kennenzulernen.

Bermas-Dawes At The Archive

Privat

Im Theodor W. Adorno Archiv

Den größten Teil meines zweimonatigen Aufenthalts habe ich damit verbracht, unveröffentlichte Arbeiten im Theodor W. Adorno Archiv zu untersuchen, die mir im Lesesaal des Walter Benjamin Archivs in Berlin zur Verfügung gestellt wurden. Eigentlich ist das Archivmaterial, das ich benötigte, am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main beheimatet, doch der Zugriff darauf ist derzeit nur in Berlin möglich.

Da dieses Material wesentliche Bedeutung für meine Dissertation hat, habe ich mich entschieden, meine Forschung in Berlin zu betreiben. Mein wissenschaftlicher Gastgeber, Prof. Christoph Menke, ist ein führender zeitgenössischer Vertreter der Frankfurter Schule an der Goethe-Universität Frankfurt und stand mir bei meinen Recherchen im Archiv jederzeit zur Seite. Die Aufsätze, Briefe und Vortragsmitschriften, die ich im Adorno Archiv untersucht habe, sind nur dort zu finden und nirgendwo sonst auf der Welt. Sie waren von unschätzbarem Wert für mein Projekt.

Da diese Texte an keinem anderen Ort zugänglich sind, fand ich die ersten Verweise darauf nur in deutschsprachigen akademischen Texten. Es war unheimlich spannend, diese unveröffentlichten Schriften einzusehen, darunter ein Seminarvortrag aus Adornos Studienzeit, der sich mit Kants Kritik der rationalen Psychologie auseinander-setzt, oder ein Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zur Lage der Psychoanalyse in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Adornos Werk ist durch eine dichte, komplexe Syntax gekennzeichnet, die nicht leicht zu durchdringen, aber letztlich mit großem Gewinn zu lesen ist. Ohne jeden Zweifel habe ich meine Lesekenntnisse der deutschen Sprache während meiner Zeit im Archiv stark verbessert.

Bermas-Dawes Next To Photo

Privat

Im Archiv, neben einem Foto Adornos.

Die Dokumente, die ich im Archiv gefunden habe, waren für meine Arbeit in vielerlei Hinsicht ausgesprochen aufschlussreich. Beispielsweise stellte ich bei der Auseinandersetzung mit dem Archivmaterial fest, wie elementar Kants Kritik der Wolffschen Psychologie für Adornos frühe Beschäftigung mit Freud war. Dies hat mich zu einer umfassenden Überarbeitung eines Kapitels meiner Dissertation veranlasst, das sich mit der Kritik der Kantschen Moralphilosophie in Negative Dialektik befasst. Außerdem stieß ich auf unveröffentlichte Notizen, die interessante Einblicke in Adornos Verständnis der Entwicklungspsychologie boten. Diese wiederum sind hilfreich, wenn man seinen späteren Fokus auf die frühkindliche Pädagogik in Werken wie „Erziehung nach Auschwitz“ untersucht.

Auch außerhalb des Archivs war ich in fachlicher Hinsicht außerordentlich produktiv. Während meines Aufenthalts in Deutschland hatte ich die Möglichkeit, an verschie-denen wissenschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen und Expertinnen und Experten kennenzulernen, deren Fachwissen ich für meine Forschung benötigte. So hatte ich das Vergnügen, an der Konferenz „Decolonizing Epistemologies“ der Humboldt-Universität zu Berlin teilnehmen zu können. Dort hörte ich einige Vorträge von brasilianischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, deren Forschung sich mit verschiedenen sozialen Bewegungen überschneidet und das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis hinterfragt.

Bermas-Dawes Meeting

Privat

Gespräch mit Güçsal Pusar zu Kant

Darüber hinaus hatte ich bereichernde Begegnungen mit Expertinnen und Experten, die ähnliche Forschungsinteressen verfolgen wie ich. Gespräche mit Leonhard Riep über seine Arbeiten zu Benjamin und Foucault sowie mit Güçsal Pusar über seine neuesten Untersuchungen zu Heidegger und Bloch waren nicht nur informativ, sondern haben mir auch dabei geholfen, meine eigenen Gedanken im Rahmen einer breiteren akade-mischen Debatte zu artikulieren. Zudem hatte ich die große Ehre, bei der Installation einer Skulptur meiner Kollegin und Freundin Char O'Dair-Gadler mitzuwirken zu dürfen. Ihr Werk „Wild Man Kigurumi Mask“ war in der Ausstellung KAUGUMMI IM MOTHERBOARD 2.0 zu sehen, die Post-Internet-Art in der Galerie gr_und im Berliner Wedding präsentierte.

Alles in allem habe ich mich erstaunlich schnell an das Leben in Deutschland gewöhnt. Da es anfangs noch etwas mit der Sprache haperte, fühlte ich mich auf meinen ersten Streifzügen durch die Stadt unsicher. Doch die übergroße Mehrheit der Menschen war sehr freundlich und ermutigte mich, in Bars, Cafés und Restaurants Deutsch mit ihnen zu sprechen. Viele Leute, denen ich in Berlin begegnete, sprachen zwar sofort Englisch mit mir, wenn sie meinen Akzent bemerkten, aber auf meine Bitte hin waren die meisten sehr geduldig und gaben mir die Chance, meine Deutschkenntnisse anzuwenden.

Bermas-Dawes Art Installation

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Kunstinstallation im gr_und art space in Berlin

Einen großen Teil meiner Freizeit verbrachte ich mit Spaziergängen durch die Stadt, auf denen ich Currywurst, Döner Kebab und Pho ausprobierte. Besondere Freude bereitete mir der Besuch einiger der zahlreichen Kunst- und Geschichtsmuseen von Berlin, darunter die Berlinische Galerie, der Hamburger Bahnhof, die Neue Nationalgalerie, das DDR-Museum und das Jüdische Museum Berlin. Im Deutschen Historischen Museum gab es eine besonders faszinierende Ausstellung über die Aufklärung, die nicht nur die Widersprüche und Spannungen der europäischen Gedankenwelt und Gesellschaft des 18. Jahrhunderts beleuchtete, sondern auch mehrere Video-installationen mit Interviews moderner Wissenschaftler:innen und Forscher:innen wie Martha Nussbaum, Kwame Anthony Appiah und Jack Halberstam präsentierte.

Viele Abende habe ich in den zahllosen schönen Kinos von Berlin zugebracht: Besonders gefallen hat mir das Kino Babylon, wo ich die Filme Der Himmel über Berlin und Metropolis sah – Letzter begleitet von einem Live-Orchester! Als wirksames Mittel gegen die Kälte und Dunkelheit im Berliner Dezember erwies sich die angenehme Wärme der vielen Weihnachtsmärkte. Ich war sehr froh, das Jahr 2024 mit Glühwein, Eierpunsch und heißem Kakao ausklingen lassen zu können, während ich die letzten Weihnachtseinkäufe tätigte.

Ich bedanke mich herzlich bei der DAAD-Stiftung und Dr. Michael Aven, die mir mit ihrer großzügigen Unterstützung durch das Respekt & Wertschätzung Stipendium diese wertvolle Forschungsreise nach Deutschland ermöglicht haben.

Stand: Januar 2025. Die englische Version ist das Original.