Dominik Hofmann

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Dominik Hofmann auf dem Campus der Universidad Iberoamericana

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"Dank einer Vielzahl an Begegnungen habe ich auch über die Gefilde einer Promotion hinaus Unzählbares und Unschätzbares gelernt. Ich bin der DAAD-Stiftung zutiefst dankbar dafür, mir diese Erfahrungen ermöglicht zu haben."

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Die Forschung von Dominik Hofmann beschäftigte sich mit dem Impunitätsdiskurs. Er erhielt 2019 als Doktorand der Universität Bielefeld das Gustav Schübeck-Stipendium der DAAD-Stiftung, welches ihm einen Auslandsaufenthalt in Mexiko ermöglichte.

Von seinen vielfältigen Erfahrungen erzählt er in einem sehr ausführlichen Bericht, welcher in gekürzter Form hier zu lesen ist:

Ich beginne, was eher eine Erzählung ist, an meinem ersten Tag an der Universidad Iberoamericana – in Mexiko sowie im folgenden Text ausschließlich „die Ibero“ genannt. Ich habe mich verfahren und muss, um zum Universitätsgelände zu finden, zwei vierspurige Straßen und eine Überführungsbrücke überqueren, was sich letztendlich als Fußweg von einer knappen Stunde herausstellt. Vorausblickend habe ich anderthalb Stunden für entsprechende Eventualitäten eingeplant, da mit klar war, wie gering meine Chancen ausfallen würden, nicht nur in einen der Kleinbusse mit dem korrekten Ziel ein-, sondern vor allem auch an der richtigen Stelle wieder aus ihm auszusteigen. Verkehr gehört zu den beherrschenden Themen der Gespräche, die ich in Mexiko-Stadt führe. Wo das Wetter sich nie ändert, dient die Thematisierung der Zeit, die man dieses Mal gebraucht hat, gängigerweise als unverfänglicher Gegenstand von Smalltalk (ein Äquivalent übrigens zum in den weniger urbanen Regionen Mexikos gängigen Sprechen darüber, was man gegessen hat).

Eine Zeitlang trage ich mich mit dem Gedanken, mir ein Fahrrad zu besorgen, verwerfe ihn jedoch immer wieder, unter anderem, weil ich mich dem Einatmen der Schadstoffe nicht aussetzen möchte. Ich fahre also weiter in Bussen, welche die Schadstoffe ausstoßen, denen ich auszuweichen versuche, indem ich die Busse benutze. Verkehr erzeugt die Notwendigkeit von mehr Verkehr.

Im Schatten der eindrucksvollen Bauruine werde ich von Professor Javier Torres Nafarrate, auf dessen Einladung ich nach Mexiko kommen konnte, an der Eingangsschranke zur Universität abgeholt. Alle Zugänge zum Campus sind streng bewacht, ohne Chipkarte ist der Zugang unmöglich. Es handelt sich bei der Ibero um eine private Universität, gegründet und getragen vom Jesuitenorden, zwar grundsätzlich dessen Idealen verschrieben, in der Lehre aber unabhängig. Innerhalb eines enorm stark stratifizierten Hochschulsystems gilt sie als Eliteuniversität. In der Bibliothek finde ich, wie durch die vor der Reise durchgeführte Recherche vorhergesagt, eine große Menge an (v.a. natürlich spanischsprachigen) Büchern, zu denen ich in Deutschland keinen Zugang hatte. Einzig der Rechner am mir zur Verfügung gestellten Arbeitsplatz in Professor Torres Büro ist unbedienbar langsam, so dass ich stets an meinem Laptop arbeite.

Meine „Privilegierung“ ist hier eher eine strukturelle als eine situationelle: ich ziehe keinen unmittelbaren Profit aus ihr. Genau dies verhält sich aber anders im akademischen Kontext meines Aufenthalts. Ich nutze nicht nur, wie ja im Wissenschaftsbetrieb üblich, die Kontaktnetzwerke meiner Professoren, sondern bin mir darüber hinaus recht sicher, dass mir die Erwähnung meines Herkunftslands Deutschland allgemein und meiner Heimatuniversität im Speziellen bei Anfragen, die ich stelle, um für die Dissertation Interviews und Gespräche mit Wissenschaftlern, Journalisten, Anwälten und Menschenrechtsaktivisten zu führen, zu Terminen mit Personen verhilft, die mexikanische Studierende einer öffentlichen Provinzuniversität wahrscheinlich nicht empfangen hätten. Ich entscheide mich dennoch für die entsprechenden Erwähnungen, da der hauptsächliche Zweck meines Aufenthalts nun einmal im Führen dieser Interviews und Diskussionen besteht.

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Hofmann Reihe

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Die Ankündigung einer Veranstaltung mit dem Stipendiaten und die Biblioteca Vasconcelos (rechts)
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Auch mein Forschungsprojekt hat ein Phänomen zum Thema, das sich in Mexiko besonders verbreitet, in meiner Heimat jedoch kaum findet. Es ist mit dem „Impunitätsdiskurs“ befasst, mit der gesellschaftlichen Thematisierung der Tatsache also, dass in vielen Weltregionen große Mehrheit aller Verbrechen ungestraft bleibt, und mich interessieren besonders die Formen, in denen der Diskurs darüber geführt wird, sowie die gesellschaftlichen Reaktionen auf die entsprechende Thematisierung. Ich befinde mich in Lateinamerika, weil dort der Impunitätsdiskurs (wohlgemerkt: der Diskurs, nicht unbedingt das Phänomen, auf das er sich bezieht) weltweit am ausgeprägtesten ist.

Zeugnis davon legt die Konferenz am Colegio de México ab, das als Gipfel der akademischen Hierarchie Mexikos gelten kann. Die Möglichkeit, mein Forschungsprojekt dort vorzustellen, stellt für mich einen der absoluten Höhepunkte meines Aufenthalts dar. Zudem stoße ich bei derselben Gelegenheit zum ersten Mal auf die institutionelle Bibliothek, deren phänomenales Inventar beinahe alle Literatur umfasst, die ich in deutschen Bibliotheken gepaart mit derjenigen der Ibero zuvor gesucht, nicht aber gefunden habe. Das umfasst besonders auch die digitale Bibliothek, zu der auf dem gesamten Gelände Zugang besteht, weshalb es mich in der Folge häufig zum Arbeiten ans Colmex zieht.

Ich selbst versuche, ein „mexikanisches Leben“ – was auch immer das sein mag – zu führen, wobei mir sicherlich mein gutes – durch mehrere längere Aufenthalte in spanischsprachigen Ländern verfeinertes – Spanisch hilft. So kommt es wohl auch, dass ich an der Ibero um verschiedene Übersetzungsarbeit für ein Journal gebeten werde. Im Laufe des halben Jahres übersetze ich immer wieder einmal kleinere Artikel und vereinbare zuletzt weitere zukünftige Zusammenarbeit in diesem Bereich. Teil des Versuchs, mich in den mexikanischen Alltag einzuleben, ist es auch, dass ich in einem Haus mit Mexikanern zusammenlebe.

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Hofmann Ansicht von Oben

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Es gäbe selbstverständlich noch unzählige weitere Eindrücke zu erzählen. Ich spare sie mir auf und versuche mich an einem kurzen Fazit. Hier muss ich zunächst noch einmal knapp einen Punkt erwähnen, der bisher nur deshalb nicht explizit zur Sprache kam, weil er für mich selbst längst eine Selbstverständlichkeit darstellt, bezüglich dessen ich aber hinsichtlich der Selektion der Episoden in diesem Bericht auf jeden Fall Missverständnisse vermeiden möchte.

Es sei deshalb noch einmal ausdrücklich gesagt, wie sehr ich mich schon bei meinem vorherigen Aufenthalt – ich hatte bereits einmal ein Jahr lang bei einer Menschenrechtsorganisation im Süden des Landes gearbeitet – das Mexiko lieben gelernt habe. Ich habe zuvorkommende, ja liebevolle, Freundlichkeit erfahren, Freundschaft gefunden und Initiativen zu zukünftiger Zusammenarbeit – all das in einem vorher nicht erwartbaren Maß. Und auch mit der Betreuung durch die und dem Kontakt mit der DAAD-Stiftung war ich ausnahmslos hochzufrieden und habe mich perfekt unterstützt gefühlt.

Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung um das Stipendium hatte ich drei grundsätzliche fachliche Vorhaben für den Aufenthalt: Mein Dissertationsprojekt in demjenigen soziokulturellen und geographischen Kontext zu präsentieren und zu diskutieren, auf den es sich inhaltlich in großen Teilen bezieht; Experteninterviews zu führen und Material für eine Diskursanalyse zu sammeln; und auf einer allgemeineren Ebene in akademischen Austausch kommen. Hinsichtlich aller drei Punkte wurden meine Hoffnungen erfüllt oder übertroffen.

Auch bin ich ehrlich davon überzeugt, im halben Jahr meines Aufenthalts entscheidend mit meiner Arbeit vorangekommen zu sein. Das trifft nicht nur auf den fachlichen Bereich zu, sondern auch auf den persönlichen. Dank einer Vielzahl an Begegnungen habe ich auch über die Gefilde einer Promotion hinaus Unzählbares und Unschätzbares gelernt. Ich bin der DAAD-Stiftung zutiefst dankbar dafür, mir diese Erfahrungen ermöglicht zu haben.

Stand: Frühjahr 2020. Die deutsche Version ist das Original.